Drogenanalytik aus Haaren

Der probate Weg, um einen Drogen- oder Medikamentenmissbrauch nachzuweisen, besteht in der Analyse von Blut- und/oder Urinproben. Diese an sich sehr zuverlässigen Methoden bringen jedoch den Nachteil einer leichten Manipulierbarkeit der Proben mit sich. Eine vorsätzliche Verdünnung der Proben bzw. Zugabe von Chemikalien erschweren häufig die Analyse. Um diese Schwierigkeiten zu umgehen, werden Haare als Untersuchungsmaterial für den Nachweis eines Drogenmissbrauchs eingesetzt.

Prinzipiell bietet die Analyse der Haare Vorteile, die mit anderen Untersuchungsmaterialien (Urin, Serum oder Gewebe) nicht zu erreichen sind.

  • Möglichkeit einer Langzeitüberwachung bzw. den Nachweis von Substanzen retrospektiv
  • einfache schmerzfreie Probennahme
  • Nachweismöglichkeit einer Vielzahl von Parametern (Drogen, Medikamente, Proteine, DNA und RNA)

Haaraufbau, Haarwachstum und Inkorporation von Fremdsubstanzen

Das Wachstum des Haares beginnt im Haarbalg der äußeren Schicht der Haarzwiebel. Hier werden die Sprosszellen gebildet, die in die Haarpapille hineinwachsen. Dort vermehren sie sich. Jeweils mehrere Kreatinfasern der Sprosszellen bündeln sich dort zu Haarzellen, die durch die Haarzwiebel nach oben wachsen. Dies ist der Schaft des Haares (Scapus pili). Es dauert ca. 6 Wochen, bis das Haar an der Hautoberfläche sichtbar ist.

(Quelle: Wong, D.J. and Chang, H.Y. Skin tissue engineering (March 31, 2009), StemBook, ed. The Stem Cell Research Community, StemBook, doi/10.3824/stembook.1.44.1, http://www.stembook.org; Bild unter freier Lizenz 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/3.0). Arrector pili: Haarbalgmuskel, Bulge: Wulstbereich des Haarfollikels, Dermal papilla: Haarpapille, Sebaceous gland: Talgdrüse. Permanent segment: ruhender Bereich. Cycling segment: Bereich zyklischen Wachstums. Die äußere Schicht des Haarfolikels (outer root sheath) grenzt an die Basalzellschicht der Epidermis, die aus mehreren Schichten besteht: äußersten Schicht stratum corneum (SC), danach stratum granulosum (SG), stratum spinosum (SS) und stratum basale (SB).

Beim Wachsen stirbt das Haar langsam ab. Während des Wachstums werden im Blut vorhandene Fremdstoffe im Zuge der Blutversorgung der Haarwurzelzellen in das Haar eingebaut. Sie gelangen so mit dessen Wachstum außerhalb des Körpers. Man kann diesen Prozess als eine langsame Entgiftung auffassen. Bei der Kopfbehaarung geht man von einem Mittelwert von 10 mm Haarwachstum pro Monat aus (Schwankungsbreite 8-13 mm/Monat), Achsel- und Schamhaare wachsen etwas langsamer (6-9 mm/Monat).

Mit Hilfe der Haaranalyse können viele Fremdstoffe hinsichtlich ihres Gebrauchs oder Missbrauchs retrospektiv über einen längeren Zeitabschnitt beurteilt werden. Fast alle endogen aufgenommenen Fremdstoffe gelangen über das Blut in die Haarwurzel, werden dort in das sich bildende Haar eingeschlossen und in der Haarfaser als fixierte Substanzbande entsprechend dem Haarwachstum mittransportiert. Hierdurch ist es retrospektiv möglich, sowohl Informationen über eine Substanzexposition in bestimmten Zeitabschnitten zu gewinnen als auch den zeitlichen Verlauf einer Fremdstoffeinlagerung/-exposition anhand einer Haarprobe zu rekonstruieren.

Dieses relativ einfache Modell der Einlagerung muss allerdings ergänzt werden: In unmittelbarer Nähe eines Haares befinden sich auch Talg- und Schweißdrüsen. Geringe Spuren der Drogen, deren Abbauprodukte und teilweise deren Stoffwechselprodukte sind auch in Talg und Schweiß gelöst und können dadurch zusätzlich an und in das Haar gelangen.
Die Fremdstoffe werden in der anagenen Wachstumsphase in das Haar aufgenommen und Drogenmoleküle lagern sich v.a. in Haarlipiden (Zellmembrankomplex), Haarpigment (Melaningranula) und Haarproteinen des keratinisierten Haares ab.
Eine Segmenthaaranalyse kann somit einen Aufschluss über das Konsumverhalten der vergangenen Monate liefern. Hierbei wird das Haarstrangbündel in einzelne Abschnitte zerteilt, die einzeln untersucht werden. So gewinnt man einen Überblick über den zeitlichen Verlauf der Substanzaufnahme und eventueller Aufnahmespitzen. Eine Gesamthaaranalyse, d.h. Bestimmung der gesuchten Substanz auf der gesamten Haarlänge in einem Ansatz, weist den Drogenmissbrauch allgemein nach.
Im Gegensatz zu einer Blut- oder Urinuntersuchung kann eine Haaranalyse allerdings keine akute oder einmalige Substanzaufnahme nachweisen.

Wann ist eine Haaranalyse anzuraten?

Die Notwendigkeit eines Drogenscreenings kann aus unterschiedlichen Anwendungsgebieten kommen (Suchtkontrolle, Verkehrsmedizin, Notfallanalytik u.a.) und kann forensische oder klinisch-toxikologische Relevanz besitzen.

Grundsätzlich kann man sagen, dass sich Urin besser als Blut zum Nachweis einer akuten Drogeneinnahme und zur Überwachung der Drogenfreiheit eignet, da die Fremdstoffe im Urin länger nachweisbar sind (Bsp. Therapieüberwachung, generelle Fahreignung).

Eine Untersuchung der Haare ist dann anzuraten, wenn es um den Nachweis von Drogen- oder Medikamentenaufnahmen geht, die außerhalb der diagnostischen Fenster der Urin- oder Blutanalytik stattfinden, d.h. mehrere Tage, Wochen oder Monate zurückliegen. Die Größe des diagnostischen Fensters ist dabei von den Konsumgewohnheiten und der Art des konsumierten Fremdstoffes abhängig.

Aussagekraft von Haaranalysen

Grundsätzlich muss man im Rahmen der forensisch-toxikologischen Analytik sicherstellen, dass ein nachgewiesener Fremdstoff nicht exogener Herkunft ist, sondern aktiv aufgenommen wurde.
Exogen aufgenommene Fremdstoffe können in der Regel durch Waschen der Haare mit Wasser und organischen Lösungsmitteln (Aceton, Alkohol, etc.) entfernt werden.
In vielen Fällen werden auch endogen entstandene Metaboliten der aufgenommenen Droge nachgewiesen, was einen eindeutigen Hinweis auf einen erfolgten Konsum darstellt.

Eine häufig auftretende Frage ist, wie sich kosmetische Behandlung auf den Drogengehalt im Haar auswirken.
Eine Abnahme der Suchtstoffkonzentration wurde sowohl nach in vitro Blondierung als auch nach Dauerwellbehandlung beobachtet. Oxidationsempfindliche Substanzen sind durch Bleichung und Dauerwelle stärker betroffen als hydrolyseempfindliche Substanzen. Eine chemische Haarbehandlung wirkt sich dabei bei geringeren Suchtstoffbelastungen/ geringerem Konsum stärker aus als bei regelmäßig hohem Konsum. D.h. eine einmalige kosmetische Anwendung kann bereits dazu führen, dass der Drogengehalt im Haar unter die Nachweisgrenze sinkt.
Deshalb sollte eine genaue Befragung des Probanden nach kosmetischen Behandlungen der Haare und Dokumentation auf dem Einsendebogen erfolgen.

Untersuchungsmaterial

Die Analyse erfolgt normalerweise im Kopfhaar. In besonderen Fällen kann allerdings auch Scham- oder Achselhaar verwendet werden.

Allerdings sind Achsel- und Schamhaare nicht für eine zeitliche Zuordnung eines zurückliegenden Drogenkonsums geeignet. An Achsel- und Schamhaare erhobene Befunde erlauben lediglich den Rückschluss, dass über längere Zeit vor der Probennahme Drogen konsumiert wurden.

Nachweismethode

Die Haare werden zuerst gewaschen, um anhaftende Substanzen (Staub, Fett, Salze etc.) und eventuelle exogene Ablagerungen zu eliminieren. Organische Moleküle und Stoffwechselprodukte, die endogen eingebaut und fest gebunden sind, werden durch den Waschvorgang nicht beeinflusst. Nach Zerkleinerung der Haare erfolgt der Aufschluss der Proteinstruktur der Haare (z.B. alkalischer Aufschluss, methanolische Extraktion über Ultraschall etc.).

Sind die Fremdsubstanzen erst einmal herausgelöst, gibt es kaum noch eine Substanzklasse, die nicht in Haaren nachgewiesen werden kann (Drogen, Medikamente, Umweltoxine etc.). 

Die Extrakte der Haarproben werden mittels LC-MS/MS untersucht.